Berichte

Ein Bericht über Patienten

Patienten

Patienten, das Wirkungsspektrum und die Bedeutung der Eutonie Gerda Alexander (Begründerin, 1908 -1994) in einer Akutklinik für psychosomatische und psychische Erkrankungen

Ein Erfahrungsbericht über die Arbeit als Eutonie Pädagogin und Eutonie Therapeutin in der Fachtherapie.

Von Rita Schnabel 

Patientenberichte nach der Eutonie Stunde:

„Ich habe gar nicht mehr gewusst, dass ich mir so viel Gutes tun kann“.

„Es spricht nicht nur den Körper an, sondern auch den Geist…“

„Während der Eutonie kann ich mich in den Körper führen lassen. Ich lasse dadurch ganz automatisch meine Gedanken los. Danach fühle ich mich ganz mit dem Boden verbunden, irgendwie schwer, aber positiv. Jetzt könnte ich am liebsten schlafen.“

„Jetzt weiß ich, wo meine Wut, mein Zorn und meine Trauer sitzen, ich habe es so deutlich gespürt“

„Ich stehe stabiler und fühle mich aufgerichteter“

Die Defizite und Beeinträchtigungen der Patienten

Die Patienten entscheiden sich für einen Aufenthalt in einer Klinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen, weil sie mit den Phänomenen Angst- und Panikattacken, Ausgebrannt-Sein, seelische, geistige und körperliche Erschöpfung nicht mehr zurechtkommen. Auch Zwanghaftigkeit und Selbstverletzungen, traumatische Kindheitserlebnisse, Mobbing und Depressionen sind häufige Einweisungsdiagno-sen. Überlastung im Beruf, private Stresssituationen, traumatische Erlebnisse sind oft der Grund, weshalb die Körperwahrnehmung, dass sich Empfinden und Spüren können, mit der Zeit von den vorherrschenden Problemen verblassen und verdeckt werden. Die Folgen sind meist Depressionen und sozialer Rückzug.

Was ist Eutonie?

Das Wort `Eutonie` stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus den Worten „eu“ –wohl, gut, ausgeglichen, angemessen und „tonos“ – Spannung, Stimmung. Also Wohlspannung Spannungsausgleich und Tonus Regulierung. Es weist auf die Verbundenheit von Körper und Psyche hin und benennt somit das Ziel der Methode. Die Eutonie dient der Regeneration, der Gesundheitsförderung und Gesunderhaltung, und unterstützt die persönliche Selbstverantwortung und Weiterentwicklung. Es entstehen ein besseres Körpergefühl, mehr Leichtigkeit in der Bewegung und dadurch mehr körperliche und psychische Zufriedenheit.

Die Eutonie Gruppe in der Klinik

Ein integraler Bestandteil des Behandlungskonzepts in dieser Klinik ist die Fachtherapie, die sich aus Ergo-, Sport-, Kunst-, Musik- und Körpertherapie zusammensetzt. Die Eutonie Körperarbeit ist ein fester Bestandteil in der Fachtherapie und findet einmal wöchentlich für die Dauer des Aufenthaltes für neunzig Minuten statt. In der Regel sind es zwischen 6 – 8 Einheiten.

Die Eutonie findet in Gruppen und in Einzelarbeit statt.

Nachdem der Patient in der Klinik aufgenommen wurde, erfolgt eine Analyse durch die Ärzte und Psychologen, in der festgelegt wird, welche Fachtherapien zum Ankommen, zur Stabilisierung und zur Förderung der Salutogenese des Patienten wichtig und notwendig sind. Parallel zu den Angeboten durch die Fachtherapie wird der Patient an den psychotherapeutischen Gruppensettings und Einzeltherapien teilnehmen. Im Bereich der Psychosomatik hat die Eutonie Körperarbeit noch einen besonderen Schwerpunkt. Besonders Patient*innen mit Fibromyalgie, Schmerzen, einem hohem Anspannungslevel oder dystonischem Spannungszustand aufgrund ihrer entsprechenden Krankheiten profitieren sehr von der Eutonie Körperarbeit.

Die Ärzte und Psychologen wissen über die Wirkmechanismen und Ziele der Eutonie Körperarbeit Bescheid und weisen dementsprechend die Patienten der Fachtherapie zu. Das heißt, dass die Eutonie Gruppe und das Einzel in dieser Klinik ein wichtiger Bestandteil des therapeutischen Konzeptes und Settings ist und einer Zuweisung durch einen Arzt oder eines Psychologen bedarf. Folgende Ziele können entsprechend der Erkrankung des Patienten darin formuliert werden:

● Förderung der Körperwahrnehmung
● Verbesserung der Entspannungsfähigkeit
● Schmerzreduktion, Umgang mit Schmerz
● Förderung der Selbstberuhigungsfähigkeit bei Angst- und Panikattacken
● Gefühle wieder wahrnehmen
● Stärkung sozialer Kompetenzen
● Transfer der Übungen in den Alltag

Ein weiteres Ziel der Eutonie Körperarbeit ist es, über bewusste und sanfte Bewegungen die Tonus Fixierungen im Körper zu lösen und einen Spannungsausgleich im gesamten Organismus herbeizuführen. Durch bewusstes Berühren und Hinspüren, Ertasten, auch mit Hilfe von Materialien, wie z.B. Kirschkernkissen, Bambusstäben oder Filzbällen wird die Sensibilität von der Haut über tiefergelegene Gewebeschichten bis zu den Knochen verfeinert und vertieft. Dadurch können Verspannungen und die damit verbundenen Schmerzen gelindert werden. Der hohe psychische und körperliche Anspannungslevel wird reduziert. Dies schult nicht nur die körperliche Wachheit und des sich Gewahrseins, sondern es erweitert auch die Beweglichkeit des Körpers.

Was geschieht bei der Körperarbeit? 

Ein Patient äußert nach der Eutonie Gruppe: „Bei der Arbeit mit den Schultern und Schulterblättern komme ich mehr und mehr an meinen Problembereich. Jedes Mal habe ich weniger Schmerzen und ich kann ein wenig mehr loslassen.“

Ein praktisches Beispiel über die Eutonie in der Gruppe:

Die Teilnehmer*innen liegen in einer entspannten und ruhigen Atmosphäre am Boden und werden angeleitet die Auflagefläche in der Rückenlage zu erspüren. Dadurch können sie feststellen wo der Körper fest, weich und flächig oder gar nicht am Boden aufliegt.

Kleine Bewegungen zum Boden hin können das Spüren erleichtern. Hat sich etwas in der Auflagequalität verändert? Danach können Bewegungsimpulse wie Dehnen und Strecken aufgenommen werden. Die Aufmerksamkeit wird zur Auflage des Beckens gelenkt. Durch ein Pendeln mit den Knien wird die Auflagefläche des Beckens erspürt. Die Teilnehmer*innen werden ermutigt, das Gewicht mittels dieser Bewegungen zum Boden hin zu lassen. Welche Bewegungskonsequenz wird z.B. Richtung Rumpf und zur Wirbelsäule hin wahrgenommen? Der ganze Körper wird in diese Bewegung miteinbezogen. Im anschließenden Nachspüren haben die Teilnehmer*innen Zeit, wahrzunehmen, was sich in der Auflagefläche verändert hat. Liegt der Körper flächiger und entspannter am Boden?

Am Anfang beginnt die Stunde im Liegen auf einer Matte. Patient*innen, denen es nicht möglich ist am Boden zu liegen, können die Eutonie erst einmal in der Einzelstunde erfahren, in der dann ganz speziell auf die persönlichen Anliegen und Beschwerden und Bedürfnisse eingegangen werden kann. Durch das Liegen am Boden hat der Patient die größtmögliche Unterstützungsfläche, um in der Bewegung die Kraft gezielt einsetzen zu können und/oder in der Ruhelage das Gewicht abzugeben und sich tragen zu lassen. Dadurch können gewohnte Haltungen leichter aufgegeben und neue Erfahrungen gemacht und zugelassen werden. Mit zunehmender Übung ist dies auch ins Sitzen, Stehen und Gehen übertragbar.

Was ist wichtig dabei?

● jeder achtet auf sich selbst, es gibt keine Richtlinien oder Vorschriften. Das ermöglicht jedem, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

● der Weg zum Körper wird durch eine fachgerechte, schlichte und körperbezogene Anleitung begleitet. Es finden keine Interpretationen, Erläuterungen oder Erklärungen statt. Das ermöglicht dem Einzelnen in Ruhe bei sich und seinem körperlichen Geschehen anzukommen und zu bleiben.

● die Patient*innen hören das Angebot, ihre Aufmerksamkeit auf den Körper zu richten und somit sich selbst aber auch die Grenzen zu erspüren und wahrzunehmen. Nicht in die Wertung zu gehen und das Defizitäre zu suchen, sondern versuchen zu spüren und zu erkunden, was gut tut und was jetzt im Augenblick geschieht.

Das Feedback nach der Gruppe:

Am Schluss der Stunde gibt es einen kurzen Austausch darüber, was die Teilnehmer gespürt und wahrgenommen haben. Wie ist es ihnen mit den Übungen ergangen auch in Verbindung mit den Materialien?

Die Erfahrungsberichte werden nicht gewertet oder interpretiert. Interessant ist, dass trotz der gleichen Anleitung jeder seine eigene Erfahrung gemacht hat. Ein Patient beschreibt, dass er schläfrig und müde geworden ist, während ein anderer darüber berichtet, dass er jetzt Bäume ausreißen könnte.

Was löst diese bewusste Auseinandersetzung mit dem Körper aus?

Patient: „Eigentlich mag ich das ja gar nicht, so mit dem Körper arbeiten“, Eutonie Pädagogin: “und trotzdem sind Sie in die Gruppe gekommen“, Patient: “das ist es ja, ich kann mich wieder spüren“.

Alle Übungsweisen bzw. Anleitungsinhalte dienen dazu, muskuläre Spannungen auszugleichen, vegetative Funktionen wie Atmung, Blut- und Lymphkreislauf und Stoffwechsel zu harmonisieren und die Beweglichkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die Patient*innen nehmen ihren Körper wieder bewusster wahr und spüren mehr Bewusstheit in der Bewegung. Diese Übungen lassen sich sehr gut in den Alltag integrieren.

Patient: „Wenn mich jemand nach meinen Empfindungen fragt, kann ich ihm keine Antwort geben, es ist alles kalt, ich fühle nichts“.

Die Patient*innen haben durch ihre Erkrankung, oder unter extremsten Stresssituationen das sich Spüren verloren. Sie äußern oft, dass sie ihre Haut nicht mehr wahrnehmen können und sie diesen Schutzraum verloren haben. Sie sind sehr angespannt und leiden unter starken An- und Verspannungen oft verbunden mit Schmerzen. Über das Arbeiten mit unterschiedlichen Materialien wie: Kirschkernkissen, Tennisbällen, Bambusstäben oder Filzbällen wird die Wahrnehmung von der Haut durch die Muskeln, Bindewebe und Faszien bis zu den Knochen stimuliert. Körperliche Strukturen, Funktionen und deren Zusammenhänge werden dadurch spür- und begreifbarer. Dies stärkt das Gefühl für die eigene Körperlichkeit, gibt Sicherheit und baut Stress ab.

Begleitend durch die Eutonie als Form der Körpertherapie, entwickeln die

Patient*innen mehr körperliche und seelische Bewusstheit und sie lernen aufmerksamer und achtsamer mit sich und ihrem Körper umzugehen. Es beginnt ein achtsamer Weg zur körperlichen und psychischen Erhaltung oder Gesundung.

Eine Patientin spricht von ihren Angstattacken, welche nicht nur von innen kommen, sondern auch von außen stimuliert werden. Z.B. Angst vor fremden und bekannten Menschen, oder Situationen, mit denen sie nicht, wie gewohnt, gelassen umgehen kann. Die Angst nimmt Besitz von ihr. Sie möchte lernen mit diesem Phänomen umzugehen. Sie konnte über die Körperwahrnehmungsübungen erfahren, dass sie wieder körperliche Stabilität gewinnt und durch das aufmerksame Spüren wieder Zugang zu ihren positiven Gefühlen fand.

Eines der wichtigsten psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Ziele ist das Wiedergewinnen der Stabilität, der Selbständigkeit und der Sicherheit, sowie die Stärkung des Selbstvertrauens. Die Eutonie ist eine somatopsychische Methode, welche nicht nur den Muskeltonus, sondern besonders auch den Psychotonus beeinflusst. Die psychische Stimmung und das Erspüren der Gefühle werden während der Anleitungen und Behandlungen angeregt oder wieder aufgeweckt.

Mögliche Behandlungsschwerpunkte einer psychiatrischen Klinik:

Folgende Krankheitsbilder können in einer Klinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen behandelt werden:

Depressive Erkrankungen, Folgen von Burn-out, Abhängigkeitserkrankungen, Phobien, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Zwangsstörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Borderline-Syndrom, ADHS, Schlafkrankheiten (z, B. Narkolepsie), somatoforme Erkrankungen, Psychosen, gespaltene Persönlichkeiten, chronische Schmerzen, Trauma Bewältigung, Alpträume, Apnoe und Spielsucht.

Die Therapieziele solcher Kliniken fokussieren vor allem auf die Symptomlinderung, die Förderung und die Wiederherstellung der Alltagsfähigkeit durch die Stabilisierung lebenspraktischer Fähigkeiten. Dazu gehören die Festigung der Persönlichkeit sowie die Selbstwertstabilisierung, die Förderung sozialer Kompetenzen und die Reintegration in das soziale und/oder berufliche Umfeld.

Die Eutonie Gerda Alexander ist ein wesentlicher und unterstützender Baustein dieser Therapieziele.

„Wichtig ist, jeden Tag ein bisschen mehr zu lernen, dass ich selbst dieser Körper bin, auf den ich mich verlassen kann.“ (Gerda Alexander, 1985) 

Folgende Eutonie Pädagoginnen/Therapeutinnen arbeiten in einer psychosomatischen/psychiatrischen Klinik:

Rita Schnabel, eutonie-schnabel.de

Februar 2017 © rita.schnabel@posteo.de

Bernadette Waas, eutonie-waas@gmx.de

Traude Weindl, eutonie-freiburg.de

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